Wer ist beim Sex eigentlich verantwortlich für den Orgasmus? Der Mann für den Höhepunkt der Frau oder die Frau für den Orgasmus des Mannes?
Ist diese Frage überhaupt relevant?
Dieser Artikel blickt auf 2 Stereotypen und wie sie einem Lust und Freude am Sex verderben können und mit Schuldgefühlen und einem kaputten Selbstwert zurücklassen. Der folgende Beitrag gibt jedoch einen Ausblick, wie es anders laufen kann und wie sich die Verantwortlichkeiten gesünder verteilen!
Ist die Frau verantwortlich für die Erektion und den Orgasmus ihres Partners? Ist der Mann verantwortlich für den Höhepunkt der Frau? Oder ist sogar Frau oder Mann verantwortlich für beides? Für mich ist es immer wieder spannend darüber nachzudenken und ich bin mir sicher, dass diese Fragen die Meinungen spalten. Viele werden wahrscheinlich gar nicht darüber reden wollen, wie es oft bei sexuellen Themen der Fall ist.
Sehen wir uns 2 Stereotypen an:
Stereotyp 1:
Der Mann ist verantwortlich für den Orgasmus der Frau. Beziehungen in denen dieser Stereotyp vorherrscht, verlangen sexuell sehr viel von den Männern ab. Sie sind nicht nur für Ihr eigenes sexuelles Wohlbefinden verantwortlich, sondern auch für die Zufriedenstellung der Partnerin. Nun ist es leider so, dass Frauen in dieser stereotypischen Beziehung meist selbst nicht sehr genau wissen was ihnen guttut, Spaß macht und sie zum Höhenpunkt bringt. Es ist einfacher die Verantwortung abzugeben und am Ende nicht selbst schuld daran zu sein, wenn es nicht klappt. Aus der Mehrheit der pornografischen Medien ist bekannt, dass es quasi die männliche Pflicht ist die Frau zum „Schreien“ zu bringen. Wenn das nicht der Fall ist fühlen sich viele Männer als Versager. Auf diesen Beziehungen lastet meist sehr viel Druck. Der Mann muss quasi „riechen“ wie er die Frau zum „Kommen“ bringt und die Frau leidet unter dem Druck „Kommen“ zu müssen, um dem Mann nicht das Gefühl zu geben, dass er es im Bett nicht bringt. Was für ein Dilemma!
Stereotyp 2:
Bei diesem Typ geht es nicht vorrangig um den Orgasmus, sondern um die ausreichende sexuelle Stimulierung des Mannes durch die Partnerin. Bleibt die Erektion ausständig, kommt es bei den Frauen häufig zu Selbstzweifel. Bin ich nicht schön genug? Habe ich etwas falsch gemacht? Bin ich zu wenig leidenschaftlich? Stimmt etwas mit meiner Vagina nicht? Für die Männer in dieser Beziehung ist es ein Leichtes die Verantwortung abzugeben. Nicht der Mann selbst, sondern seine Partnerin übernimmt die Verantwortung für „das Stehvermögen“. Bleibt dann die Erektion aus, fühlt sie sich unzureichend und schuldig.
Viele Beziehungen bewegen sich wahrscheinlich irgendwo im Graubereich zwischen den beiden oben beschriebenen Extremen. Bei so viel Druck und Verantwortung, kann einem die Lust auf die schönste Sache der Welt schon mal vergehen!
Wo kommen diese Stereotypen her?
Ich denke diese Rollenbilder sind teilweise der Vergangenheit, der sexuell passiven Rolle der Frau bzw. der sexuell aktiven Rolle des Mannes, geschuldet. Was will ich damit sagen?
Männer sind von Natur aus stolz auf ihren Penis und die Meisten haben eine gute Beziehung zu Ihrem "Besten Stück". Sie kratzen sich mal gerne im Schritt oder betatschen sich auch in der Öffentlichkeit, siehe Jogi Löw. In einem Online-Beitrag von www.Welt.de wird ein Video gezeigt, in dem Lukas Podolski Stellung bezieht zu der Aktion seines Trainers:
„In der Mannschaft ist es kein Thema!
Ich denke das 80% von euch und ich … (Denkpause)
kraulen sich auch mal an den Eiern. Von daher ist alles gut!“
Für diese Aussage wird Lukas Podolski in der Pressekonferenz mit Applaus gefeiert. Im späteren Teil des Artikels wird der „Schrittgreifer“ von Joachim Löw in einer Anspielung sogar als „magisches Ritual“ in den Raum gestellt.
Lassen Sie uns ein kleines Gedankenspiel machen: Stellen Sie sich vor eine Trainerin hätte das gemacht. Denken Sie, dass sie auch dafür gefeiert würde? Ich vermute eher nicht und freue mich, sollte mir jemand das Gegenteil beweisen. Bei Frauen sieht das Ganze nämlich anders aus. Es gibt Frauen, die haben sich ihr eigenes Geschlecht nicht ein einziges Mal selbst angesehen. In der Vergangenheit und konservativen Erziehung wurde Mädchen häufig beigebracht, dass man sich dort nicht anfasst, dass sich das nicht gehört usw. Wie sollen Frauen wissen was Ihnen sexuell gefällt, wenn sie nicht mal so genau wissen mit was sie es „da unten“ eigentlich zu tun haben?
Im RTL- Artikel, „Die Frau und ihre Vagina - ein fremdes Verhältnis?“, geht Jutta Rogge-Strang auf mehrere Gründe ein, warum viele Frauen eine schambehaftete Haltung gegenüber ihrer Vagina haben. Religion, Erziehung, Beleidigungen, idealisierte Bilder von „Porno Vaginas“ (wie ich sie gerne nenne) sind unter anderem Gründe dafür.
Pures Konfliktpotential
Beim Sex prallen also häufig Welten aufeinander, wenn es um die Vorstellungen von Frau und Mann geht, wie dieser zu sein hat. Es ist kein Geheimnis, dass die meisten männlichen Jugendlichen und viele erwachsene Männer regelmäßig Pornos konsumieren. Das Rollenbild der Pornographie passt aber so gar nicht zum Großteil der realen Beziehungen.
Die Frauen in der Pornographie sind sexuell extrem offen und leicht zu haben, sie haben meist stark betonte sekundäre Geschlechtsteile und sind dem Mann sexuell zu Diensten. In der klassischen Pornografie ist das entweder Unterwerfung oder Dominanz. Was noch sehr besonders ist an diesen Frauen: Sie kommen unglaublich leicht, oft und sehr intensiv zum Orgasmus. Je wilder und dominanter der Mann in die Frau eindringt, desto besser scheint ihr der Höhepunkt zu gefallen.
Eine Frau, die ein eher stiefmütterliches Verhältnis zu ihrer Vagina und somit zu ihrem sexuellem Empfinden hat, ist wohl nicht sehr gut kombinierbar mit einem wilden, dominanten „Stecher“. Und auch der unterwürfige Mann ist wahrscheinlich eher weniger kompatibel mit einer Frau, die selber nicht so sicher in ihrer sexuellen Identität ist.
Was ist richtig? Was ist falsch?
Gerade in Sachen Sexualität gibt es hier so viele verschiedenen Vorlieben und Neigungen, dass ich es mir nicht herausnehmen möchte etwas als richtig oder falsch zu beurteilen. Was ich jedoch festgestellt habe ist, dass es meist beiden Geschlechtern nicht einfach fällt unter dem Druck beim Sex "leisten zu müssen", noch gut wahrnehmen und fühlen zu können was schön ist.
Ein Weg hier mehr Sicherheit zu bekommen kann sein, es einfach mal für sich herauszufinden. Was fühlt sich gut an? Bei welchen Berührungen und Gedanken bekomme ich mehr Lust darauf mich selbst zu spüren und besser kennen zu lernen? Selbstsicherheit im eigenen sexuellen Erleben ist eine gute Basis für das sexuelle Erleben als Paar. Wenn ich meinem Partner erst mal zeigen und sagen kann was ich mag und auch was ich nicht mag und wir uns in der Schnittmenge finden können, dann kommt es auch zu weniger Missverständnissen.
Das Podest: „Orgasmus“
Die Vorstellung, dass beide zum Höhepunkt kommen müssen, übt sehr viel Druck aus. Meistens, wenn man sich sagt "jetzt kommts", dann kommt es erst recht nicht! Der Orgasmus fordert von uns, dass wir uns spüren und uns voll auf das Gefühl in unserem Körper einlassen. Hier sind wir zwar mit unserem Partner vereint, der Schlüssel liegt meist trotzdem darin genügend bei sich selbst zu bleiben, um die Intensität des Gefühls zu spüren, zu halten und weiter auf den Gipfel zu treiben. Es geht um einen gemeinsamen Rhythmus den man als Paar finden kann, was aber Zeit, Vertrauen und Intimität voraussetzt.
Es kann auch leicht gehen
Jetzt haben wahrscheinlich einige das Bild von leidenschaftlichem Sex im Kopf, wo alles von alleine läuft, unkompliziert und mit allem was dazu gehört. Ich glaube, dass es das gibt! Wenn die Leidenschaft groß ist (z.Bsp.: am Anfang einer Beziehung) oder wenn man sich einfach so anziehend findet, dass man automatisch alles andere vergisst und nur mehr im Gefühl ist. Da aber bekannt ist, dass viele Menschen keine erfüllte Sexualität erleben bzw. diese dann oft nach den ersten Schmetterlingen nicht mehr so prickelnd ist, bin ich überzeugt davon, dass eine erfüllte Sexualität Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, den eigenen Grenzen und dem eigenen sexuellen Empfinden erfordert. Das hört sich jetzt sehr anstrengend an, aber so wie bei jeder Selbstfindung ist auch die sexuelle Selbstfindung eine Bereicherung und sich selbst gut zu kennen war in noch keinem Bereich des Lebens ein Fehler!
Pornografie: Fluch oder Segen?
Die Sexual- und Psychotherapeutin Ines Schweizer beschreibt im Interview mit dem Online Magazin Femelle warum es so wichtig ist Erwartungen beim Sex abzulegen. Sie geht auf die unrealistischen Vorstellungen bezüglich Sex ein, die klassische Pornos als eine Art „Stereotyp“ etabliert haben. Sie sensibilisiert einerseits für einen guten Umgang mit der Inszenierung sexueller Fantasien und andererseits für die Möglichkeit sich von medialisierter Erotik inspirieren zu lassen.
50/50: Geteilte Verantwortung
Mein Fazit ist, dass wir nicht die volle Verantwortung für unseren eigenen Höhepunkt abgeben sollten! Wie so oft im Leben, liegt die Verantwortung bei Dingen die man zu zweit macht, bei beiden Beteiligten. Jeder kann für sich etwas beitragen und durch gute Kommunikation und Übung kann man die Sexualität in der Partnerschaft als Erfüllung erleben.
Eure Elisabeth
Die psychologische Beratung bietet Unterstützung bei sexuellen Themen für Einzelpersonen und Paare. Vereinbaren Sie einen Termin für ein unverbindliches Erstgespräch!